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Sonderausstellung im Museum Ratingen „boris nieslony: das es geschieht. werkschau eines halbruhigen, 2019-1975.“
17. September 2019 @ 11:00 - 17:00
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Das Museum Ratingen zeigt die erste umfassende Einzelausstellung des international gefragten Performers, Installationskünstlers, Bild- wie Begriffsforschers, Pataphysikers und Archivars. „boris nieslony: das es geschieht“ vereint Werke aus den vergangenen 40 Jahren. Einige Arbeiten sind erstmalig zu sehen, eine sich über 30 Meter erstreckende Wandinstallation entsteht neu für die Ratinger Werkschau eines Halbruhigen. Die von Boris Nieslony (*1945 in Grimma, lebt und arbeitet in Köln) konzipierte Ausstellung zeigt die ungeheure Aktualität seines Werkdenkens: Performances, Bild- und Begriffsbefragungen treffen auf neue Installationen – ein Parcours durch Dekaden, zwischen Paradies, Lebens- und Todesräumen.
Boris Nieslonys künstlerische Biographie zeichnet sich durch eine „Praxis des Gründens“ aus: Nach dem Studium wandte er sich von der Malerei ab und der Bildbefragung zu. Dass jedes Bild und jeder Begriff sein eigenes Medium mitschaffen muss, legte den Grundstock für das weite Spektrum der Arbeitsfelder. Er begann von Hamburg aus ein Performance-Netzwerk aufzubauen, rief 1981 zum Konzil nach Stuttgart, bei dem 30 Tage lang über 100 Performancekünstler und -interessierte miteinander arbeiteten und diskutierten. Er ist Gründungsmitglied der Performancegruppe Black Market International (BMI) und nahm 1987 an der „documenta 8“ teil. 2001 gründete er das E.P.I. Zentrum, das Europäische Performance Institut, initiierte 2010 das Aktionslabor PAErsche mit Sitz in Köln und baut seit den 1980er Jahren ein eigenes Performancearchiv auf, das seltenes Material zu unzähligen, auch weniger bekannten Akteuren der Performancekunst archiviert und für internationale Forscher zur Verfügung stellt.
Das Gründen – den Dingen auf den Grund gehen, zu den Dingen „abtauchen“ – ist von Nieslonys künstlerischen Werkprozessen nicht zu trennen. Seine Bild-Cluster in Warburg’scher Tradition zeigen dies und eröffnen den Ausstellungsparcours: Die Besucher begegnen knapp 800 Fotografien zum Verb „tragen“: Eine Schwangere zeigt ihren weiblichen Körper, Theo Waigel trägt ein Kind Huckepack, ein Soldat einen blutverschmierten Körper aus dem Schusswechsel. Frau trägt Zylinder, Mann trägt Narrenkappe, der Papst die Tiara, der Bräutigam die Braut, Fußballer einander im Torjubel, Björk die verrücktesten Haarverflechtungen. „Was Menschen tun und wie“ lautet die entscheidende Frage, die Boris Nieslony schon Ende der 1970er Jahre zum Bildwissenschaftler werden ließ. Seitdem sammelt und untersucht er Bilder und arrangiert sie nach einer mit dem Diagrammatiker Gerhard Dirmoser entwickelten Struktur.
Zusammen mit Dirmoser entstand auch das einzigartige Performance-Diagramm, das in der Ausstellung als begehbare Bodenarbeit ausliegt. Ein kreisförmiges Schaubild unzähliger Begriffe, angeordnet in 32 Segmenten rund um ein leeres Zentrum, stellt die Frage: Was ist Performance? Nieslonys eigene Tätigkeit als Performer wird in unterschiedlichen Videoarbeiten zu sehen sein. Zudem feiert ein filmisches Portrait über die Gruppe Black Market International im Rahmen der Ratinger Werkschau seine Premiere. Die frühsten Werke in der Ausstellung sind sinnlich-monochrome Malereien aus der Zeit um 1975; angeordnet in einem Minimal-Irrgarten spielen die stillen „Blau-Untersuchungen“ installativ mit dem Raum.
Zwischen sinnlicher Präsenz und strukturierenden Ordnungsgefügen erscheint auch das Paradies, das in Ratingen seine bisher umfassendste Präsentation erfährt. Glasobjekte, Spiegel und verdichtete Scherbenskulpturen brechen das Licht und interagieren mit unserer Wahrnehmung. Opake Holzobjekte, Zahnräder und technische Spulen, Dreiarme, Linsen oder Objektive – das Sehen steht im Fokus und wird in dieser vielgestaltigen Regalinstallation auf Glasböden herausgefordert.
Seit Dekaden beschäftigt Nieslony sein Paradies – er arbeitet mit ihm und hält die unterschiedlichsten Momente und Lichtsituationen fotografisch fest, stiftet und reflektiert ungewöhnliche Ding-Begegnungen. So tritt neben den Gründer Nieslony der Anstifter, der dem Prädikat „Kunst“ den Rücken kehrte und seit gut 40 Jahren in offenen Angeboten die „Kunst der Begegnung“ sucht. Das Rahmenprogramm der Ratinger Werkschau lädt zum offenen und gemeinsamen Ergründen ein.
Wissenschaft und Kunst, ein Überdenken der Welt aus sinnlich-körperlicher sowie theoretischer Warte, Gründen und Anstiften, alle dies sind Stichworte, die auch das Projekt bauhaus vor 1919 antrieben und die im Verbundprojekt „100 jahre bauhaus im westen“ thematisiert werden. Unter diesem Motto laden das Land Nordrhein-Westfalen mit seinem Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) und die für die Landschaftliche Kulturpflege zuständigen Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL) zu einer landesweiten Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe ein. Mit dabei sind über 40 weitere lokale und regionale Partner wie Museen im Rheinland und in Westfalen, die sich den Reformideen und Wirkungen des Bauhauses widmen. Die Schirmherrschaft hat Frau Isabel Pfeiffer-Poensgen übernommen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn und wird am Freitag, 28. Juni, um 19 Uhr feierlich eröffnet. Der Eintritt zur Eröffnung ist frei. Zur Ausstellung erscheint ein Künstlerkatalog im Verlag StrzeleckiBooks u.a. mit Texten von Gerhard Dirmoser, Dirk Hildebrandt, Boris Nieslony und Rolf Sachsse.